Glyphe

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Glyphe
Unter einigermaßen regulären Umständen bleibt es einem überlassen, wann, oder ob man überhaupt darüber nachdenken möchte, was man selbst von den eigenen durchwanderten Lebensjahren denkt, und dass ein Abschied vom Planeten unweigerlich vorprogrammiert ist. Jede/r hat ja so ein Tröpfchen Unsterblichkeitsillusion im Blut. Und die Vorstellung, dass man in Wirklichkeit jederzeit gezwungen sein könnte, sich außerdem noch mit schwerwiegenden Überraschungen zurecht zu finden, das begreift man erst, wenn sie da sind, die Überraschungen. Und in den meisten Situationen dieser Art begreift man das Meiste nicht wirklich sofort, sondern unverrückbare Tatsachen sickern langsam in unsere Systeme, mögen sie uns selbst betreffen oder es betrifft Schicksale aus dem Freundeskreis. Nun ist man zwar zwei Mal sehr allein unterwegs, einmal bei der Geburt, dann beim Tod, denn niemand sonst außer einem selbst ist derzeit damit beschäftigt. Aber das heißt ja nicht, dass die Erfahrung des Vorgangs im wesentlichen davon abhängt, was im Umfeld geschieht. Da bis jetzt keine Nachrichten durchgedrungen sind aus der Forschung, dass man sich die Eltern aussuchen kann, so sieht es oft beim Abschied anders aus. Da geht es vielleicht um Anwendung der Reife, die man erworben hat in den…fangen wir mal mit vierzig Jahren an, oder mit fünfzig und sechzig und siebzig undsoweiter Jahren, wo man sich schon wieder wehren muss gegen die Menschheitstriebe, auf jeden Fall so lange wie möglich hier zu bleiben, und um jeden Preis. Aber der Preis kann auch zu hoch sein, und ich schiebe hier den japanischen Mystery Spruch ein: „Es gibt Wichtigeres als das Leben“, bei dem gerade die absurde Note einen aufhorchen lässt. Was könnte das sein? Auf jeden Fall kann es nur etwas sein, was dem aktuellen Geschehen auf so vielen Ebenen wie möglich gerecht wird: der Eleganz, dem Kostüm, der am angemessenen Zeitpunkt eingesetzten Schmerzlosigkeit, dem Einlassen auf so viel Wahrheit, wie es dem reflektierenden Geist zumutbar ist. Der Abschied vom Drama per se geschieht im dritten Akt. Aber, wie ich wiederum in Indien gelernt habe, gibt es noch einen vierten Akt. Über den steht aber nichts geschrieben. Warum? Weil er sich dem Bewusstsein, also dem verfügbaren Wissen innerhalb des Seins, entzieht, eben durch seine Unmittelbarkeit, also wo der Schatten zwischen Idee und Wirklichkeit sich verzieht und das ganze in seinem vollen Zenith steht. Warum nicht. Wir sind doch Künstler:innen!

 

*Bild: Henrike Robert

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