Diedadort

Der über dem Boden Schwebende auf dem Witzblatt sagt  also zu ihr: Schwerkraft haben die da oben erfunden, um uns unten zu halten. Das fand ich zur Abwechslung mal wieder so erbaulich, dass ein Witz so trefflich ins Herz des schwer Sagbaren treffen kann. Ich hatte es vorgestern selbst in meinem Beitrag erwähnt, dieses beliebte ‚Die da oben‘, und wer und in welchem Kontext da jemand gemeint sein könnte. In Indien sind die da oben ja eher die Götter, deren geheimnisvollen Taten und Entscheidungen man schicksalshaft ausgeliefert ist, weil man sie sonst in ihrer Kapazität als Götter infrage stellt, was natürlich wünschenswert wäre, aber nicht das, was wir gerne realistisch nennen. Noch einmal muss auch mit Dankbarkeit gesagt werden, dass man froh ist, nicht gefährdet zu sein, wenn man über die Benutzung der Hagia Sophia eine zutiefst religiöse Meinung hätte, womöglich auf der falschen Seite. Und es hilft auch nicht, die vom Gottesglauben getragenen Systeme als die einzigen Menschenspalter zu betrachten, obwohl vieles darauf hinweist, dass sie das gut können. Und es muss schrecklich sein, das eigene, geliebte Hongkong zu verlieren, weil irgendwelche Diedaobens auf einmal das ganze Gefüge beherrschen wollen. Und überhaupt muss und kann sich jedes System mal überlegen, wieviel direkten Kontakt es eigentlich noch hat mit dem, was tatsächlich da draußen in den Köpfen und den Leben der Menschen passiert, oder bis die bis ins Persönliche hineinschleichenden Manipulationsprozesse als solche überhaupt erkannt werden. Und wieder ein Tönnies und wieder Hambacher Forst und der Respekt für die, die irgend etwas so außer sich gebracht hat, dass nur die Aktion sie wieder in die Mitte ihres eigenen Systems bringt. Es gab auch Momente in der Zeitgeschichte, in denen Professoren, oder war es nur einer, der Welt verkündeten, dass vor allem das himmlische Geschenk LSD in der Lage wäre bzw. ausschließlich zu diesem Zweck erschienen war, um die düsteren Verdichtungen des kollektiven Unbewußten zumindest genug zu lockern, damit zumindest ein paar durchs Netz schlüpfen konnten in den weiteren, ozeanischen Umtrieb. Also wenn ich an Angela Merkels Arbeitstag denke, sehe ich keinen Olymp, in dem köstlicher Wein bis zur Neige geleert wird, sondern sie machen, was sie können, und ich mache auch, was ich kann. Auf jeden Fall habe ich das Glück, dass mich keiner daran hindert, die Verantwortung für meine Worte und Handlungen selbst zu übernehmen. Und ich sehe auch, dass das für uns alle schlimm werden kann, wenn auf einmal zu viele Menschen zu wenig kaufen, weil der Reiz des Minimalistischen in die Gemüter getröpfelt ist genau wie das vegane Essen, an dem sich still und leise neue Verkaufsketten bereichern können genau wie die Yogakurse, die bar allen Inhalts auch noch als Gymnastik ihre Dienste tun. Wer soll wen abhalten von was? Natürlich höre ich Kübra Gümüsay aufmerksam zu (beim Lesen ihres Buches ‚Sprache und Sein‘), wenn sie ihre klugen Gedanken für uns darlegt über all das, was wir uns als ungläubige Bleichgesichter gar nicht vorstellen können, und dann ist man auf jeden Fall froh, dass wieder jemand, eine weitere Jemandin, ihre Sprache gefunden hat, mit der sie das ausdrücken kann, was ihr am Herzen liegt. Wo eben dieser Herzensstamm, an dem man herumliegen kann, das Zentrum jeder Menschenmöglichkeit bietet, und ja, wunderbar, dass ihr im Hambacher Forst so lange durchgehalten habt, dass es ein ernstes, nachvollziehbares Anliegen geworden ist, für das jedes weitere Opfer der Ausbeutung zuviel ist. Und wie und wo kann scheinbares Oben mit vage definiertem Unten zusammenfinden. Das findet doch alles zwischen Menschen statt, die etwas mitmachen oder nicht, mit positiven und negativen Konnotationen gesehen. Und dann die vielen Schattierungen, die zwischen Fiasko und Tragödie herumtanzen! Eine Anekdote meiner Mutter erzählt, wie sie mal im Dritten Reich auf der Straße lief und auf der anderen Seite lief eine Frau, die sie gut kannte und die bei ihr oft zu Gast gewesen war. Nun aber wehrte sie meine Mutter mit einer heftigen Geste ab, sie nicht zu begrüßen, und zeigte an ihrem Mantelaufschlag auf den gelben Stern. Beide gingen weiter, nur ich gehe zu dieser Begegnung zurück mit der Frage: was hätte ich da gemacht. Und es ist sicherlich heilsam, wenn es manchmal weder Antwort noch Meinung gibt über das, was ich wirklich nicht wissen kann.

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